Meister, Lehrer und Schüler
Wieso spontan? Ich dachte, man soll alles möglichst langsam, ruhig und bedacht
machen? Jegliche Form der Einseitigkeit begrenzt dich! Klar, wenn du Taiji oder Yin
Yoga praktizierst, geben die Bewegungen dein Bewegungstempo vor. Und das wird
wohl eher ruhiger sein. Bei den Kampfkünsten, insbesondere, wo du mit dem
Partner zusammen trainierst, ist schon eher Spontanität gefordert. Worum es mir
hier geht, ist, dass du kein Dogma errichtest. Sie ist eher als Lebensprinzip zu
verstehen. Auch wenn deine eher ruhigen Bewegungskünste von dir keine
spontanen Bewegungen erfordern, gilt es jedoch, im Leben sich dieses Prinzip zu
bewahren und nicht steckenzubleiben und zu versumpfen im gegenteiligen Prinzip.
Und natürlich auch umgekehrt: Wenn deine Bewegungskunst eher von dir
dynamisch spontanes Agieren erfordert, mache das nicht zum Dogma. Sonst wirkst
du wie ein Hamster im Laufrad, der ständig Aktion macht und es ist gar nichts los.
Da musst du in deine Mitte zurückfinden. Finde deine persönliche Mitte und lerne,
dich über deine Ego Komfortzone hinaus zu entwickeln. So kannst du dich in den
feinen Bewegungskünsten frei bewegen und im Leben ebenso. Werde zu einem
Lebenstänzer: mal stehst du fest auf dem Boden und verweilst in dir und mal
springst du in die Luft: Juhu
Spontanität ist die Würze im Leben. Ohne Spontanität wird alles fade …
Heute hast du dich im Freien verabredet, das Wetter war gut. Jetzt regnet es in
Strömen - was machst du? Du hast dich auf dein Training gefreut, der Trainer lässt
sich entschuldigen, es gibt eine Ersatztrainerin, gehst du hin? Du hast dich mit
deinem Trainingspartner verabredet, der meldet sich krank, trainierst du alleine
oder schmeißt du hin?
Die Meister der alten Zeit
Die wahrhaften Meister der alten Zeit
waren feinsinnig, geheimnisvoll und tiefgründig.
Verborgen waren sie und undurchschaubar.
Weil undurchschaubar,
kann ich sie nur mit Mühe beschreiben.
Behutsam waren sie,
wie wer im Winter einen Fluss überschreitet,
vorsichtig, wie wer ringst die Nachbarn fürchtet,
zurückhaltend, wie zu gast geladen,
nachgiebig wie schmelzendes Eis,
einfach wie unbehauenes Holz,
weit wie das Tal,
undurchschaubar wie trübes Wasser.
Wer dieses Tao bewahrt,
begeht nicht andere Fülle.
Doch nur, wer anderer fülle nicht begehrt,
den kann das Neue nicht blenden,
er kann gering sein
und zur Vollendung gelangen
TTK 15
Wirkliche Meister der feinen asiatischen Bewegungskünste gibt es nur wenige. Und
die halten sich eher bedeckt. Es genügt übrigens nicht, sich den Titel auf eine
Visitenkarte zu schreiben oder sich als solcher auszugeben und rein zufällig ein
asiatisches Gesicht zu haben.
Meister haben die zusätzliche - zu ihrer körperlichen Perfektion - Gabe, jenseits
von Worten, durch ihre Strahlung zu wirken.
Viele Worte schnell zerrinnen,
Weit besser ist, das Innere zu bewahren.
TTK 5
Lehrer der Bewegungskünste gibt es viele. Die meisten haben ein gewisses
Verständnis, eine erste Verwirklichung in den Seins-Prinzipien. Entscheidend für
einen Lehrer ist nicht nur die hohe technische Perfektion, sondern auch die
Fähigkeit, diese weitergeben zu können. Es gibt Lehrer, die sind technisch
einwandfrei, aber nicht in der Lage, jemanden heranzubilden. Andererseits gibt es
Lehrer, die technisch vielleicht nicht den allerletzten Schliff haben, aber wunderbare
didaktische Fähigkeiten. Sie gestalten das Training interessant, sachlich und mit
Humor.
Ein guter Lehrer kann ebenso hart und unnachgiebig sein, wenn es darum geht,
das Ego zu entlarven oder schlampige Techniken zu korrigieren, wie mitfühlend und
voller Liebe. Beides gehört zusammen.
Nicht ehren seinen Lehrer,
Nicht lieben seinen Schüler
Trotz allem Wissen, es wäre eine große Verblendung.
TTK 27
Wann ist man ein wirklicher Schüler der feinen asiatischen Kampfkünste?
Schüler sein ist nichts Abwertendes, sondern ganz im Gegenteil. Ein wirklicher,
echter Schüler ist eher die Ausnahme und somit etwas ganz Besonderes.
Was macht ihn nun aus, diesen wirklichen Schüler?
Hingabe, mit Körper und, wichtig, mit dem Geist. Eine neugierige Offenheit, Neues
zu erarbeiten, Altes in Frage zu stellen und über sich selbst hinauszuwachsen.
Die nötige Geduld mitzubringen, um ehrliche Schritte auf dem Weg zu gehen und
nicht zu tricksen.
Einen Volkshochschulkurs zu belegen, anschließend eine, meist teure, Ausbildung
zum x-Lehrer zu absolvieren, qualifiziert dich bei weitem nicht! Und noch etwas,
was vielleicht heute eher verloren gegangen ist: den nötigen Respekt und die
Achtung vor deiner von dir ausgewählten Bewegungskunst und deinem Lehrer.
Dabei musst du nicht vor Ehrfurcht erstarren, sondern es geht um Wertschätzung
für denjenigen, der schon Jahre oder vielleicht sogar Jahrzehnte den Weg vor dir
beschritten hat und um Wertschätzung einer Bewegungskunst, die hunderte oder
vielleicht schon tausend Jahre alt ist.
Zusammengefasst nennt man das im Zen: Zen-Geist ist Anfänger-Geist. Und im
Budo (jap. Kampfkünste) gibt es die Metapher vom weißen Gürtel: Komme stets,
egal welche Graduierung du hast und wie lange du schon trainierst, innerlich, mit
dem weißen Gürtel zum Training, so bewahrst du den Anfänger-Geist.
Diese Einstellung lohnt sich auch für ein ganzes (zufriedenes) Leben.